Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Soehlke,
sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Dr. Schäfer-Vogel,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
in Ihrer Haushaltsrede, Herr Palmer, haben wir gehört, welche Zeitenwende uns im kommunalen Haushalt von Tübingen bevorsteht und Sie haben auch Ihre Sicht dargelegt, wie es zu der dramatischen Lage kommen konnte. Auch wir wollen zunächst ein Lagebild zeichnen, bevor wir auf unsere Schwerpunkte beim Haushalt zu sprechen kommen.
Bei einigen Punkten stimmen wir mit Ihrer Analyse, Herr Palmer, überein, so auch in der Feststellung, dass das Geschäftsmodell Deutschlands (billige russische Energie, China kauft unsere Autos, die USA zahlen für unsere Sicherheit) seit einiger Zeit nicht mehr funktioniert. Tatsächlich führte erst Corona und dann Putins Angriffskrieg in der Ukraine neben Tod, Leid und Zerstörung auch zu enormen finanziellen Belastungen, die wir erst jetzt so richtig zu spüren bekommen. Zu lange wurde uns “vorgegaukelt” – wie Sie es formulierten -, niemand müsse für die Kosten zahlen. Energiekrise, Inflation, 1,2 Millionen geflüchtete Ukrainer*innen in Deutschland und natürlich die millionenschwere Unterstützung der Ukraine mit Waffen müssen wir alle nun aber eben doch zahlen. Auch die Folgen einer zu späten Klimaschutzpolitik und der damit verbundenen Erderhitzung kosten uns bereits jetzt Milliarden. Ich erinnere Sie an die Überflutungen in Baden-Württemberg und Bayern im Frühjahr letzten Jahres, die allein versicherte Schäden von mindestens 2 Milliarden Euro zur Folge hatten. Aber auch auf unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln wirken sich die klimabedingten Extremwetter auf der ganzen Welt bereits aus, indem sie zu massiven Preissteigerungen führen.
Was dabei aber nicht unerwähnt bleiben darf und zur Ehrlichkeit dazu gehört, ist, dass einige Konzerne (wie z.b. RWE oder Rheinmetall), aber auch Einzelpersonen in den letzten Jahren enormen Gewinn aus all dem Elend gezogen haben. Die Superreichen konnten während der Pandemie und der Kriegsjahre ihr Vermögen enorm vergrößern, viele sogar mehr als verdoppeln. Allein 2023 hatten sie einen Vermögenszuwachs von durchschnittlich 10%.
Und für fossile Subventionen gibt der deutsche Staat trotz Klimaschutzgesetz und Bekenntnis zur Klimaneutralität laut Umweltbundesamt immer noch unfassbare 65 Milliarden Euro im Jahr aus!
Würde man diese Subventionen von heute auf morgen abschaffen und an die Kommunen verteilen, stünden uns hier in Tübingen jährlich 72,1 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.
Aber anstatt auf Bundes- und Landesebene endlich eine gerechte und in die Zukunft gerichtete Umverteilung zu beginnen, wird das Problem an die Kommunen weitergereicht. Und von uns wird nun verlangt zu entscheiden, ob wir lieber ein paar Schauspieler*innen auf die Straße setzen, die Schulsozialarbeit einstampfen oder soziale Beratungsstellen schließen.
Als neue Fraktion mit einem unvoreingenommenen Blick empfinden wir diese Situation als inakzeptabel.
Doch nun zu den den Schwerpunkten, die wir in unseren ersten Haushaltsdiskussionen als Fraktion gesetzt haben. Wir haben uns sehr intensiv mit den Konsolidierungsvorschlägen auseinander gesetzt und denken auch, dass wir verantwortungsvoll entschieden haben.
Wer den Namen Klimaliste hört, wird sich sicherlich nicht wundern, dass wir uns für einen gerechten Beitrag Tübingens an den globalen Anstrengungen zum Klimaschutz einsetzen und somit Streichungen beim Klimaschutz ein “NoGo” für uns sind. Es ist mittlerweile ausreichend belegt, dass sich jeder Euro, den wir heute in Klimaschutz investieren, nicht nur in einem Weniger an Leid für die gesamte Menschheit in der Zukunft auswirkt. Es lohnt sich auch ganz rechnerisch, indem massive wirtschaftliche Schäden durch zerstörte Gebäude oder Infrastruktur, Produktions- und Ertragseinbußen oder Gesundheitskosten in der Zukunft vermieden werden. Abstriche bei den Anstrengungen für den Klimaschutz in Tübingen werden wir also nicht unterstützen. Im Gegenteil fordern wir, dass die Anstrengungen intensiviert werden. Im Haushalt haben wir deshalb Gelder beantragt, um nach dem Vorbild von Paris jährlich einen Teil der Parkflächen in Tübingen in Fahrradstellplätze umzugestalten oder zu entsiegeln und zu begrünen.
Trotz aller Anstrengungen, die wir hier in Tübingen machen und die auch richtig und wichtig sind, ist uns aber auch klar, dass die globalen Entwicklungen ein sehr düsteres Bild zeigen. 2024 war mit 1,6 Grad globaler Oberflächentemperatur über dem vorindustriellen Niveau nicht nur das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Es war auch das erste Jahr, das das im Pariser Abkommen gesetzte Ziel von 1,5 Grad deutlich überschreitet. Die Auswirkungen dieser Erhitzung sehen wir in gehäuften Extremwetterereignissen mit Toten und Verletzten um den ganzen Globus, aber zum Beispiel auch darin, dass wir Ökosysteme wie Korallenriffe oder Regenwälder an den Rande des Kollaps gebracht haben und es zu erwarten ist, dass diese im weiteren Verlauf des Jahrhunderts unwiederbringlich verloren gehen.
Ein weiterer Schwerpunkt für uns ist daher, sich auch in Tübingen so gut wie irgendwie möglich auf das vorzubereiten, was uns in vielleicht wenigen Jahren bevorsteht. Dies betrifft einerseits Maßnahmen zur Klimaresilienz, wie beispielsweise den Umbau zur blau-grünen Schwammstadt mit mehr Bäumen und Grünflächen, sowie Wasser- und Versickerungsflächen. Unser Haushaltsantrag zur Begrünung des Europaplatzes mit einem Tiny Forest ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Aber es bedeutet auch, dass wir jetzt nicht nachlassen dürfen, in den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu investieren. Wir werden alle noch aufeinander angewiesen sein, davon sind wir überzeugt. Deshalb lehnen wir Stellenstreichungen im sozialen Bereich, die Schließung von Stadtteiltreffs oder sozialen Beratungsstellen kategorisch ab.
Kinder- und Jugendliche müssen jetzt die bestmögliche Unterstützung bekommen, die sie auf eine Welt vorbereitet, die dramatisch anders aussehen wird, als wir sie alle hier noch kennen. Eine Streichung bei der Schulsozialarbeit, aber auch bei Angeboten wie der Kinder- und Jugendfarm lehnen wir daher ebenfalls ab.
Kultur wird enorm wichtig sein im Hinblick auf die gesellschaftliche Transformation, die uns bevorsteht. Sie kann als Motor für Gemeinschaft und Resilienz fungieren. Eine Institution wie das Zimmertheater gilt es daher zu erhalten, denn was einmal weg ist, kommt so schnell nicht wieder.
Wir haben uns deshalb entschieden, den Rotstift dort anzusetzen, wo er unserer Meinung nach am wenigsten persönliches Leid verursacht. Dies ist aus unserer Sicht zum Beispiel in der Bauverwaltung der Fall. Aber auch bei der Tübinger Müllabfuhr, deren Wert wir zwar zweifelsohne anerkennen, deren Streichung uns aber in der Abwägung mit anderen Punkten auf der Liste als kleineres Übel erscheint.
Auch der Verzicht auf ein Hallenbad Süd – so schön die Vorstellung auch sein mag – ist aus unserer Sicht verschmerzbar im Vergleich zu anderen Punkten. Eine kostengünstige Alternative mit einer Traglufthalle über dem Freibad, die außerdem unter allen Varianten die größte Schwimmfläche aufweist, haben wir in die Diskussion eingebracht. Diese hätte außerdem den Erhalt des Nordbads, sowie des Hotel am Bads zur Folge, das für Tübingens Wirtschaft wertvolle Einnahmen generiert.
Ob unsere Vorschläge in Summe zu einem genehmigungsfähigen Haushalt führen, ist ungewiss. Wir nehmen das bewusst in Kauf, denn wir sind der Überzeugung, dass die finanzielle Schieflage von Ursachen herrührt, die auf kommunaler Ebene nicht zu lösen sind.
Für das Ziel eines genehmigungsfähigen Haushalts sind wir jedenfalls nicht bereit, unsere zentralen Werte aufzugeben und auf das zu verzichten, was uns als Menschen ausmacht: Mitgefühl.
Vielen Dank.
(Matthias Feurer)