Sehr geehrte Anwesende,
die letzten zwei Wochen, beziehungsweise auch schon die Wochen davor in der Vorbereitung des Prozesses, waren für uns, wie für so viele andere hier, sehr schwierig. Wir sehen, dass wir in einer Situation sind, in der wir handeln müssen und in der wir gleichzeitig nicht die Handlungsoptionen haben, um den Kern des Problems anzugehen.
In unserer Rede am 16. Januar haben wir das schon gesagt, ich möchte das hier noch einmal betonen: Wir haben in Deutschland vor allem ein massives Verteilungsproblem, kein Wohlstands-Problem im Allgemeinen. Einzelne Unternehmen, einzelne Menschen haben sehr stark profitiert in den letzten Jahren und konzentrieren eine Menge Vermögen bei sich.
Jetzt haben wir auf kommunaler Ebene nur sehr begrenzte Möglichkeiten, an diesem Problem etwas zu ändern, während wir gleichzeitig direkten Einfluss auf das Leben von so vielen Menschen haben, wenn wir städtische Entscheidungen treffen. Uns war es das größte Anliegen bei unseren Abstimmungen in den letzten zwei Wochen, dass unsere Kürzungen möglichst nicht diejenigen Menschen treffen, die in schwierigen Lebenssituationen jetzt schon stark kämpfen müssen, auch bereits finanziell.
Das wäre in unseren Augen sozial einfach ungerecht. Und das Gleiche gilt auch für die Aspekte des Klimaschutzes in den Listen: Sozial ist es für uns nicht vertretbar, dort in hohem Maß zu sparen. Denn das würde uns, und insbesondere die jungen Menschen, teuer zu stehen kommen. Das gilt sowohl für den Klimaschutz als auch für die Klimaresilienz-Maßnahmen im Haushalt. Auch das haben wir schon erwähnt, das scheint aber immer noch nicht bei allen angekommen zu sein, wie die Abstimmungen gezeigt haben. Deswegen möchte ich das noch einmal sagen: Es lohnt sich wirtschaftlich, in Klimaresilienz-Maßnahmen wie Entsiegelung oder den Erhalt von alten Bäumen zu investieren. Wir verhindern damit wahnsinnig hohe Kosten, die durch Extremwetterereignisse irgendwann entstehen werden. Und da müssen wir aus unserer Sicht endlich aufhören, unserem “Gefühl” zu vertrauen, dass das in Tübingen schon nicht passieren wird, oder zumindest nicht so schnell. Sturm, Hagel, Hitze, Flut und andere Ereignisse werden auch hier auftreten und Prävention ist hier definitiv der günstigere Weg, das sollten wir auch in Zeiten des Sparens nicht vergessen.
Wir haben uns vor diesen Überlegungen mit vielen Abstimmungen sehr schwer getan. Wir haben versucht, Schwerpunkte zu setzen und verantwortungsvoll zu überlegen, wo wir sparen können, um an anderer Stelle Aspekte schützen zu können, die aus unserer Perspektive gesellschaftlich essenziell sind – insbesondere im Sinne des sozialen Zusammenhalts.
Dazu gehören zum Beispiel die Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt, die Angebote von Adis, verschiedene Unterstützungsangebote für geflüchtete Menschen oder auch die Unterstützung von wohnungslosen Menschen. Die mobile Jugendarbeit und auch die Schulsozialarbeit sind zwei Bereiche, bei denen wir Kürzungen nur in ganz geringem Umfang vertretbar finden. Deshalb sind wir sehr froh, dass dort nur wenige Stellen bzw. Stellenanteile wegfallen, zumindest im Vergleich zu den vorgeschlagenen Kürzungen. Jugendliche zu unterstützen bedeutet auch, präventiv zu handeln und den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Das kann nur im Sinne der Allgemeinheit sein, denn das verhindert auch, dass wir größere Problemlagen später wieder auffangen müssen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht alle Punkte des sozialen Bereichs, die für uns zentral sind, aufzählen. Ich hoffe, unsere Grundhaltung zu diesen Bereichen verständlich gemacht zu haben. Aus dieser Haltung folgt auch, dass wir dem Ergebnis ambivalent gegenüberstehen. An manchen Stellen sind wir froh, dass wenig oder nichts gespart wurde. An anderen Stellen sind wir frustriert und bestürzt, dass die Mehrheit im Gemeinderat einer Kürzung zugestimmt hat.
Es gab aber auch durchaus Punkte, wo Kürzungen aus unserer Sicht vertretbar sind: das Entfernen von Graffitis, das Reduzieren von Blumenschmuck, weniger Zeiten oder auch Schließungen von Bürgerbüros in einzelnen Stadtteilen, bei der Besetzung im kommunalen Ordnungsdienst oder bei den Öffnungszeiten von Häckselplätzen.
Auch hier möchte ich nicht alles aufzählen, sondern vielmehr deutlich machen, dass wir uns ernsthaft damit auseinandergesetzt haben, an welchen Stellen gekürzt werden kann. Und auch an dieser Stelle sind wir manchmal verwundert, welche Aspekte hier gerettet werden, wie z.B. die Häckselplätze, wenn wir die Entscheidungen in anderen Bereichen im Kopf haben.
Ganz besonders schwer tun wir uns mit den Entscheidungen im Bereich des Klimaschutzes und der Klimaresilienz. Bei der Gewässerrenaturierung und den Kontrollen bei Hochwasserbelangen wird in den nächsten zwei Jahren gespart werden. 50.000€ weniger haben wir im Klimaschutzprogramm – mehr konnten wir in den Verhandlungen leider nicht retten. Die Mittel sind vor allem darauf ausgelegt, die Mitwirkung von Dritten beim Klimaschutz zu fördern. Das widerspricht dem Klimaschutzprogramm, weil die Mitwirkung der Stadtgesellschaft an konkretem Klimaschutz so ein Stück weit abnehmen wird.
Für mögliche Gespräche zu den Positionen, die jetzt in der Reserve sind, möchten wir daher noch einmal eindringlich an die anderen Fraktionen appellieren: Wir sollten nicht im Klimaschutz sparen! Stelleneinsparungen in der Stabsstelle für Umwelt- und Klimaschutz, die momentan in der Reserve als Möglichkeiten in Frage kommen, werden uns in Zukunft viel Geld kosten. Das macht einfach keinen Sinn.
Diese Kosten jetzt zu tätigen, bedeutet, in eine Stadt zu investieren, die auch in ein paar Jahrzehnten noch lebenswert für alle Altersgruppen ist.
Um dem Ziel, eines genehmigungsfähigen Haushalt näher zu kommen, gibt es aus unserer Sicht noch eine Möglichkeit, die bisher noch wenig oder gar nicht beachtet wurde, die wir hier noch erwähnen möchten. Das ist die Tourismus-Steuer, die für jede Übernachtung erhoben werden kann, wie es zum Beispiel in Konstanz bereits gemacht wird. Dort werden 5,6% vom Brutto-Übernachtungspreis als Tourismus- und Klimaschutzabgabe erhoben, was dann direkt in den Klimaschutz vor Ort investiert werden kann und den Tourist*innen kostenlosen Zugang zum ÖPNV ermöglicht. Nach diesem Vorbild möchten wir auch hier über eine Tourismusabgabe diskutieren. Das würde keine Tübinger*innen treffen, sondern vor allem Tourist*innen, die hierher kommen und auch von vielen Investitionen, die wir tätigen, profitieren.
Um das Ganze nicht in die Länge zu ziehen, verzichte ich an dieser Stelle darauf, auf weitere Einzelvorschläge einzugehen.
An einigen Stellen können wir mit den interfraktionellen Vorschlägen gut mitgehen, an anderen nur teilweise. Trotzdem haben wir uns dazu entschieden, der Einigung heute zuzustimmen.
Abschließend möchten wir noch einmal betonen, und das ist dann ja auch sehr passend mit den beiden Parteien, die heute mit uns für den Haushalt stimmen: Klima und Soziales kann man nicht getrennt betrachten! Klimagerechtigkeit bedeutet Soziale Gerechtigkeit, und Soziale Gerechtigkeit bedeutet Klimagerechtigkeit. Lasst uns dafür sorgen, dass beides mitgedacht wird in den Entscheidungen, die wir noch zu treffen haben. Denn am Ende geht es immer darum, eine Gesellschaft zu gestalten, in der wir alle gemeinsam leben möchten.
Dankeschön.
(Jana Krämer)